Öllinger - Warum ich trotzdem gegen ein Grundeinkommen bin
Dennoch ist das bedingungslose Grundeinkommen seit Jahren, eigentlich Jahrzehnten, ein Dauerbrenner in der politischen Debatte. Erst jüngst – im Juni 2016 – haben die Schweizer StimmbürgerInnen über die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens abgestimmt und sie mit großer Mehrheit abgelehnt. Immerhin 22 Prozent haben aber ein bedingungsloses Grundeinkommen in der Höhe von monatlich 2.5000 Schweizer Franken (mehr als 2.200 Euro) monatlich befürwortet.
Die Knoten sind nicht nur im Kopf
Warum also ist die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens noch immer oder immer wieder attraktiv?
Weil sie – zumindest in den linken Varianten - utopische Elemente in einen politischen Alltag einbringt, in dem fast permanent so getan wird, als ob es keine Alternativen zu den angeblichen Sachzwängen geben würde.
Weil sie – gerade weil und wenn sie politische und ökonomische Realitäten weitgehend ignoriert – Sehnsüchte und Bedürfnisse von Menschen sichtbar machen kann.
Weil sie – aufbauend auf der Entflechtung von Arbeit und Einkommen – die Beschränkungen und Zwänge unserer kapitalistischen Gesellschaft sichtbar machen und zumindest im Kopf Knoten auflösen kann.
Die Schweizer InitiatorInnen für ein bedingungsloses Grundeinkommen haben das so formuliert:
„Wir wollen das Denken der Knappheit überwinden und die Möglichkeiten des Überflusses nutzen. Wir wollen nicht nur Geld verdienen, sondern unsere Lebensaufgabe finden und erfüllen. Wir wollen weniger Zwang und mehr inneren Antrieb. Wir wollen keine entfremdete Wirtschaft, sondern Unternehmen mit einer Seele. Wir wollen nicht besitzen, aber alles nutzen. Wir wollen nicht bewahren, sondern lernen, den Wandel zu geniessen. Wir wollen nicht jammern, sondern machen“. https://www.bedingungslos.ch/de/news/2fNEQNtwLh2SpmswG
Das Problem beginnt dort, wo das Grundeinkommen als der entscheidende Schlüssel für die in dem Zitat beschriebene grundlegende Änderung der Gesellschaft gesehen wird. Ich halte es noch immer mit dem Spruch von Umberto Eco: „Es gibt für jedes komplexe Problem eine einfache Antwort – es ist mit Sicherheit die falsche!“.
Wer glaubt, mit einer einzigen sozialpolitischen Maßnahme die gesellschaftlichen Machtstrukturen überlisten und über das trojanische Pferd Grundeinkommen aushebeln zu können, der täuscht sich gewaltig. Schon minimale Verschiebungen von Macht- und Einkommensverhältnissen zugunsten der Schwächeren sind in der Regel das Ergebnis von harten Verteilungskämpfen. Verschenkt wird da gar nichts! Unsere Wirtschaft scheitert derzeit schon gewaltig an dem vergleichsweise einfachen Problem, allen Menschen für ihre Erwerbsarbeit ein ausreichendes Einkommen zur Verfügung zu stellen – und da soll eine einzige sozialpolitische Maßnahme, nämlich die Einführung eines Grundeinkommens für alle, nicht nur bei Erwerbsarbeit, sondern für alle Abhilfe schaffen können?
Wer ist alle?
In der Regel gehen fast alle Grundeinkommensmodelle davon aus, dass das Grundeinkommen in voller Höhe allen Erwachsenen und in reduzierter Höhe allen Minderjährigen zustehen sollte, wobei es auch Varianten gibt, die keinen Unterschied zwischen Erwachsenen und Minderjährigen machen. Von tatsächlich einschneidender Relevanz ist allerdings, ob das Grundeinkommen auch allen Neuankömmlingen (MigrantInnen und Flüchtlinge) zustehen soll. Wenn man in Betracht zieht, wie leicht sich sogar die minimalen Beträge für die Grundversorgung von AsylwerberInnen für hetzerische Kampagnen gegen Flüchtlinge instrumentalisieren lassen, kann man in etwa ermessen, was das Resultat schon bei der bloßen Ankündigung wäre, das Grundeinkommen auch allen zugewanderten Menschen zur Verfügung zu stellen.
Vermutlich genau aus diesem Grund haben die Schweizer InitiantInnen keine präzisen Angaben zu diesem heiklen Punkt gemacht (siehe NZZ) .
Probleme wie das der Zugänglichkeit oder anders herum der Zugangsbeschränkungen können aber nicht als Detailfragen abgetan werden, die den Blick auf das Grundsätzliche, die große Idee, verstellen würden.
Wann ist genug?
Ähnliches gilt für die Höhe des Grundeinkommens und seine Finanzierbarkeit. Ich weiß – das zu erörtern wird von den BefürworterInnen in der Regel als Totschlagargument gesehen, aber es ist nun mal ein zentraler Punkt.
Dass es nicht ausreicht, auf das leuchtende Beispiel Alaska hinzuweisen, wo alle BewohnerInnen (sofern sie nicht straffällig geworden sind) aus den Zinseinnahmen eines Fonds, der aus den Gewinnen der Ölförderung gespeist wird, jährlich (!) einen Betrag in der Höhe von 1.000 bis 2.000 US-Dollar erhalten, hat sich mittlerweile allgemein durchgesetzt.
Für ein Grundeinkommen in Schweizer Höhe müssten in Österreich rund zwei Drittel des Bruttoinlandsprodukts aufgewendet werden – eine gewaltige Umwälzung, die nur mit massivsten und vermutlich sehr autoritären Änderungen der gesamten Einnahmen und Ausgabenstrukturen durchsetzbar wäre. Aber selbst ein sehr bescheidenes Grundeinkommen in der Höhe von 1.000 Euro (zwölf Mal im Jahr!) würde faktisch alle Aufwendungen für Soziales auffressen. Wer möchte etwa den PensionistInnen dann erklären, dass sie es als sozialen Fortschritt betrachten sollten, wenn sie statt einer mageren Pension von 1.000 Euro (14 mal im Jahr) jetzt so wie alle anderen im Land ein Grundeinkommen von 1.000 Euro (12 mal im Jahr) erhalten? Wobei man nicht verschweigen sollte, dass sich die Menschen, die nur von ihrem Grundeinkommen leben sollten, von diesem auch noch ihre Krankenversicherung finanzieren müssten. Ähnliches gilt für Menschen, die wegen Alter oder Behinderung auf Pflegeleistungen angewiesen sind. Das Sozialbudget wäre durch das Grundeinkommen aufgebraucht – das kann sich jede/r selbst ausrechnen.
Natürlich ist es denkbar und geschieht auch in verschiedenen Modellen, dass – um Attraktivität und Akzeptanz des jeweiligen Modells zu erhöhen – an anderen Stellschrauben gedreht wird. Die Höhe des Grundeinkommens ließe sich etwa dadurch verbessern, dass alle Verbrauchssteuern radikal erhöht werden. Götz Werner, der zwar zu den Proponenten des liberalen Grundeinkommenflügels zählt, dennoch aber auch von den Linken gerne zitiert wird, argumentiert die massive Anhebung der Verbrauchssteuern , um ein Grundeinkommen von 1.000 Euro – für ihn ein „Richtwert“, den man sich gut merken kann – zu finanzieren.
Die Schweizer InitiantInnen wiederum würden zur Finanzierung ihres Grundeinkommens tief in die Taschen der Privatwirtschaft greifen, von der sie eine Abgabe für die Grundeinkommenskasse einheben wollen. Damit der Wirtschaft daraus keine Nachteile erwachsen, würden die Löhne bedeutend abgesenkt – weil sie ja ohnehin durch das Grundeinkommen gestützt würden. Trotzdem bleibt in der Schweizer Grundeinkommen- Rechnung ein nicht unbedeutender Fehlbetrag, der durch verschiedene „Annahmen“ – etwa eine deutliche Senkung der Gesundheitsausgaben oder auch die Senkung des Verwaltungsaufwandes – weggerechnet wird.
Welche Effekte auf die wirtschaftliche Entwicklung ein allgemeines Grundeinkommen sonst noch haben könnte, darüber lässt sich wohl - je nach Standpunkt des Betrachters – trefflich spekulieren. Für meine bescheidenen Modellannahmen genügt mir schon , dass die Durchsetzung eines allgemeinen und bedingungslosen Grundeinkommens vermutlich mit sehr restriktiven Annahmen über die Zugänglichkeit für Zugewanderte und bei einer akzeptablen Höhe mit sehr autoritären Eingriffen für die gesamte Einnahmen- und Ausgabenstruktur verbunden wäre.
Vermutlich wäre ein Grundeinkommen mit breiter Akzeptanz (und niedriger Höhe) erst dann durchsetzbar, wenn vorher die wichtigen sozialen Sicherungssysteme bzw. der Sozialstaat, wie wir ihn heute (noch) kennen, weiter ausgehöhlt würden. Das ist aber nicht eine Perspektive, an der wir Grüne uns orientieren sollten.
PS.: Ich habe hier bewusst auf die Darstellung grüner Positionen, vor allem unseres Modells der bedarfsorientierten und lebenslagenbezogenen Grundsicherung verzichtet. Dieses Modell , an dessen Entwicklung ich mitarbeiten durfte, konnten wir so nur in einer heftigen, aber sehr produktiven Auseinandersetzung mit GrundeinkommensbefürworterInnen entwickeln. So finden sich darin vor allem lebenslagenbezogene Elemente eines Grundeinkommens: etwa für alle Menschen, die das Pensionsalter erreicht haben oder für Erwerbstätige, denen wir zumindest zeitweise einen bezahlten Ausstieg (Sabbatjahr) mittels Grundeinkommen garantieren wollen. Auch ein Grundeinkommen für Jahre der Bildung haben wir angedacht. Einzelne Elemente davon finden sich mittlerweile in reichlich verkümmerter Form in der politischen Realität.
Karl Öllinger ist grüner Abgeordneter im österreichischen Parlament.